Immer wieder hört man, dass nur „an der Oberfläche gekratzt“ wurde. Man getraut sich nicht tiefer zu schauen, um nicht Gefahr zu laufen in den Abgrund zu blicken, der sich hinter der Fassade auftun könnte. Auf der anderen Seite hört man, dass „endlich aufgeräumt“ werden müsse, endlich Reformen durchgeführt werden sollen.
Doch jene, welche diese bekämpfen, haben Angst vor dem Offenbarwerden der eigenen Geschichte und jene, welche sie befürworten, machen es nur halbherzig, weil sie die eigene Bequemlichkeit nicht überwinden können und Liebgewordenes nicht abstreifen wollen. Reformen durchzuführen heisst aber, der unangenehmen Geschichte (auch der eigenen) ins Gesicht zu schauen, ihre Vielschichtigkeit aufzuklären und Massnahmen zu ergreifen, welche auch mein eigenes Leben beeinflussen, egal auf welcher Seite ich stehe.
Die Fastenzeit lädt ein, nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern tiefer zu blicken. Die verschiedenen Schichten des eigenen Selbsts sollen zu Tage treten können. Einige Schichten sind schöner als andere, aber auch diese dunkleren Schichten wollen wahrgenommen und nicht einfach verdeckt werden. Im religiösen Bereich nennt man dies „Gewissenserforschung“. Es ist eine geistliche und höchst spirituelle Übung, welche es uns ermöglicht unser Leben zu reflektieren. Nur so können wahre Reformen im eigenen Leben und im Leben überhaupt greifen. Re-Formen, wieder in die „Form bringen“ ist vielleicht das, was die Fastenzeit uns schenken kann.
Papst Franziskus lädt uns Christen im heiligen „Jahr der Barmherzigkeit“ ein, das Sakrament der Busse und Versöhnung ganz bewusst in Anspruch zu nehmen. Es stimmt, dass Versöhnung an ganz verschiedenen Orten kirchlichen und christlich-menschlichem Leben stattfindet, doch liegt diesem Sakrament eine ganz eigene Kraft inne. Der gnadenvolle Zuspruch Gottes wird in diesem Zeichen der Liebe Gottes auf ganz eigene Art spürbar. Gott will nicht, dass wir in unserem Leben nur an der Oberfläche kratzen. Er will, dass wir uns verantwortungsvoll mit unserem Leben in all seinen Schichten beschäftigen, uns mit unserer Geschichte beschäftigen und es zulassen, uns von seiner Liebe verwandeln lassen.
Wer eine Reform will, muss also unter die Oberfläche schauen und vielleicht kann uns dabei die Beichte eine grosse Hilfe sein.
Bild: Restaurations-Ansicht in: Ons‘ Lieve Heer ob Solder, Amsterdam. Siehe auch hier.